Eine bedeutende Anzahl von Innovationen beruht auf Kombinationen oder Modifikationen bestehender Ideen und Technologien. Eine Studie aus dem Jahr 2017, die in der Fachzeitschrift «Research Policy» veröffentlicht wurde, ergab, dass 87% der Patentanmeldungen in den USA im Jahr 2010 zumindest teilweise auf bestehenden Technologien oder bestehendem Wissensstand beruhten. Darüber hinaus leiten sich viele erfolgreiche Innovationen in der Geschichte aus Kombinationen von bestehenden Ideen und Technologien ab. Wie zum Beispiel das Smartphone, das aus der Kombination von Mobiltelefonen und Computertechnologie hervorgegangen ist. Dass heisst jedoch nicht, dass Innovationen, die auf Kombinationen bestehender Ideen aufbauen, oft genauso kreative Anstrengungen und wissenschaftliche Fortschritte erfordern, um sie erfolgreich umzusetzen, wie «komplett neue» Ideen.
Die Natur ist ein unerschöpflicher Quell der Inspiration und Innovation. Seit Millionen von Jahren passt sie sich an, um den unterschiedlichen Herausforderungen zu begegnen, die sich ihr gestellt haben. Von der Photosynthese bis hin zur Kältetoleranz gibt es unzählige Beispiele dafür, wie die Natur uns inspirieren und helfen kann, neue Lösungen für unsere eigenen Probleme zu finden. Mit diesem Artikel wollen wir dich inspirieren, was wir von der Natur lernen und wie wir diese Erkenntnisse auf unsere eigenen Innovationsprojekte anwenden können.
Die Natur ist nichts anderes als ein riesiges, komplexes System. Damit bietet sie einen riesigen Fundus an Ideenansätzen, wie man Organisationen, Produkte, Dienstleistungen, Kulturen oder Prozesse verbessern oder gar disruptiv neu gestalten könnte. Weil der Fundes so gross ist, greifen wir uns in diesem Artikel - stellvertretend für die unzähligen Möglichkeiten, die es gibt - drei Aktionsbereiche bzw. Suchfelder heraus:
Produkte- und Dienstleistungsdesign durch Biomimetik
Prozess- und Organisationsoptimierung im Kontext «Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft»
Zusammenarbeit und Selbstorganisation im Unternehmen
Produkte- und Dienstleistungsdesign durch Biomimetik
Biomimetik oder Biomimikry bezieht sich auf den Prozess der Nachahmung der natürlichen Designs und Verhaltensweisen, um Lösungen für technologische oder wissenschaftliche Herausforderungen zu finden.
Haftung und Adhäsion
Geckos haben bemerkenswerte Fähigkeiten, an Wänden und Decken zu haften, ohne herunterzufallen. Dieses Konzept wurde auf die Entwicklung von klebenden Materialien und Robotern angewendet, die auf glatten Oberflächen haften können. Passend dazu auch der Klettverschluss (Velcro), der von der Struktur der Samen des Klettenkrauts inspiriert wurde.
Fortbewegung und Mobilität
Die Bewegung von Tieren wie Fischen, Vögeln und Insekten hat Wissenschaftler inspiriert, Robotik und Fahrzeugtechnologien zu entwickeln, die effizienter und agiler sind. Ein konkretes Beispiel ist der japanische Zug Shinkansen, der aufgrund seiner Schnelligkeit und Laufruhe auf dem «Kingfisher»-Design basiert, das von der Schnabelform des Vogels inspiriert wurde (siehe auch Titelbild des Artikels).
Selbstheilung
Viele Tiere und Pflanzen sind in der Lage, Verletzungen oder Schäden selbstständig zu «reparieren». Diese Fähigkeit wurde in der Entwicklung von Materialien und Technologien angewendet, die in der Lage sind, sich selbstständig zu regenerieren Konkretes Beispiel dazu ist die Verwendung des Aloe Vera-Sekrets, um die Wundheilung zu beschleunigen.
Thermoregulation
Tiere und Pflanzen haben Mechanismen entwickelt, um ihre Körpertemperatur zu regulieren und extreme Temperaturen zu überleben. Diese Fähigkeit wurde auf die Entwicklung von Textilien und Gebäudehüllen angewendet, die in der Lage sind, die Körpertemperatur von Menschen zu regulieren.
Struktur und Materialien
Die Strukturen und Materialien in der Natur haben einzigartige Eigenschaften wie Haltbarkeit, Leichtigkeit und Elastizität. Diese Eigenschaften wurden auf die Entwicklung von Materialien wie Stahl und Beton sowie auf die Architektur und den Bau von Gebäuden angewendet. In einem Gebiet, das von Stürmen und Erdbeben bedroht ist, ein über 500 Meter hohes Gebäude zu bauen, scheint sehr gewagt. Der Taipei 101-Tower in der taiwanesischen Hauptstadt ist ein konkretes Beispiel eines Gebäudes, das nach bionischen Prinzipien designt wurde. Wie auf dem Bild unschwer zu erkennen ist, wurde die Bauweise jener des Bambus nachempfunden.
Prozess- und Organisationsoptimierung «Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft»
Die Natur hat eine perfekte Kreislaufwirtschaft entwickelt, in der nichts verschwendet wird. Alles, was eine Pflanze oder ein Tier produziert, wird wiederverwendet oder recycelt. Wir können von der Natur lernen, wie wir Produkte herstellen und Abfallprodukte minimieren können.
Materialnutzung
In der Natur gibt es keinen Abfall. Alles wird wiederverwendet oder recycelt. Ein Beispiel ist die Biomasseproduktion durch Pflanzen, die das Sonnenlicht in Energie umwandeln und Kohlenstoffdioxid in Sauerstoff umwandeln. Dieses Konzept kann auf die Herstellung von Produkten angewendet werden, indem Abfälle als Ressourcen betrachtet und in neue Produkte umgewandelt werden.
Maximierung der Energieeffizienz
Viele Tiere und Pflanzen sind äußerst effizient im Umgang mit Energie und Ressourcen. Ein Beispiel ist der Flügelschlag von Vögeln, der so effizient ist, dass er als Vorbild für die Entwicklung von Flugzeugflügeln dienen kann, um den Treibstoffverbrauch zu reduzieren. Auch können Gebäude und Infrastrukturen so gestaltet werden, dass sie natürliche Ressourcen wie Sonnenlicht und Windenergie nutzen, um den Energieverbrauch zu reduzieren.
Nachhaltiges Design
Viele Lebewesen in der Natur sind in der Lage, ihre Umgebung zu nutzen, um sich selbst zu schützen, zu ernähren und zu vermehren. Ein Beispiel ist die Struktur von Muscheln, die als Vorbild für die Entwicklung von haltbaren und leichten Materialien für den Bau von Gebäuden, Brücken und Fahrzeugen dienen kann.
Zusammenarbeit und Selbstorganisation im Unternehmen
Schwarmintelligenz
In der Natur gibt es viele Beispiele für Schwarmintelligenz, bei der viele Individuen gemeinsam ein Ziel erreichen. Zum Beispiel bei Ameisenkolonien, die komplexe Nester bauen und Nahrung suchen, oder bei Bienen, die einen Schwarm bilden, um einen neuen Bienenstock zu finden. Unternehmen können von diesem Prinzip lernen, indem sie Teams und Arbeitsgruppen aufbauen, die zusammenarbeiten und ihr Wissen und ihre Fähigkeiten teilen, um gemeinsame Ziele zu erreichen.
Emergenz
Emergenz bezieht sich auf die spontane Entstehung von neuen Eigenschaften und Verhaltensweisen in einem System, die durch die Interaktion der Individuen entstehen. Zum Beispiel bei einem Vogelschwarm, der komplexe Muster in der Luft bildet, oder bei einem Ameisenhaufen, der sich spontan organisiert, um Nahrung zu finden. Unternehmen können von diesem Prinzip lernen, indem sie offene und flexible Strukturen schaffen, die es den Mitarbeitenden ermöglichen, sich spontan zu organisieren und neue Ideen und Lösungen zu entwickeln.
Synergie
Synergie bezieht sich auf die Zusammenarbeit von verschiedenen Arten oder Systemen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Zum Beispiel bei Pflanzen, die miteinander interagieren, um Nährstoffe zu teilen und Schädlinge abzuwehren, oder bei einem Ökosystem, das verschiedene Arten von Organismen beherbergt, die zusammenarbeiten, um das Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Unternehmen können von diesem Prinzip lernen, indem sie Partnerschaften und Kooperationen aufbauen, um Synergien zu schaffen und gemeinsame Ziele zu erreichen.
Konkrete Vorgehen bei Bionik-Prozessen
Bionik ist eine Innovationsmethodik, die man häufig mit Produkte- und technischer Innovation in Verbindung bringt. Grundsätzlich bietet die Bionik jedoch für (fast) alle Innovationsfragestellungen Lösungsansätze. Doch wie sieht das Vorgehen in einem solchen Prozess aus?
Der Bionik-Prozess ist ein iterativer Ansatz, der einen fortlaufenden Austausch zwischen biologischen Prinzipien und technischen bzw. sozialen Anwendungen ermöglicht. Das zeigen wir mit dem nachfolgenden generischen Beispiel:
Schritt 1: Identifikation des Problems
Der erste Schritt besteht darin, ein Problem zu identifizieren, das durch eine bionische Lösung gelöst werden könnte. Zum Beispiel könnte ein Unternehmen Schwierigkeiten haben, ein Produkt zu entwickeln, das sich an verschiedene Umweltbedingungen anpassen kann.
Schritt 2: Suche nach biologischen Vorbildern
Als nächstes wird nach biologischen Vorbildern gesucht, die ähnliche Probleme gelöst haben. Dies kann durch eine Literatur- bzw. Datenbankrecherche oder durch den Besuch von natürlichen Lebensräumen erfolgen, um relevante Organismen und Ökosysteme zu identifizieren.
Schritt 3: Analyse der biologischen Prinzipien
Nach der Identifikation von biologischen Vorbildern werden die zugrunde liegenden Prinzipien und Strategien untersucht. Dies kann durch Beobachtung, Experimente oder Computermodelle erfolgen.
Schritt 4: Übertragung auf die Innovationsfragestellung
Nach der Analyse der biologischen Prinzipien werden diese auf die jeweilige Fragestellung übertragen. Insbesondere bei «abstrakteren» Fragestellungen kann es notwendig sein, das Prinzip zu vereinfachen oder anzupassen, um die Machbarkeit zu gewährleisten. Konkretes Beispiel: In der Republik Kongo, im abgeschiedenen Nouabalé-Ndoki National Park, wurde untersucht, wie Schimpansen ihren jüngeren Artgenossen Verhaltensweisen bei der Nahrungsaufnahme weitergaben. Die älteren Semester lehrten die nachfolgende Generation nicht dadurch, dass sie ihnen den Einsatz von langen Pflanzenstengeln zeigten, um damit in Termitenhügeln nach Nahrung zu «fischen». Sie liessen die jüngeren Artgenossen bloss zuschauen. Und erst wenn die «Jugend» lauthals darum bat, es selbst zu versuchen, wurde den jungen Schimpansen die Pflanzenstengel überlassen. Diese übernahmen die Art und Weise, wie es die «Senioren» taten. Das könnte bspw. zu folgender Fragestellung: Wie/mit welchen Massnahmen könnte man das «Observe-Trial/Error-Prinzip» in der Ausbildung von Lernenden integrieren?
Schritt 5: Entwicklung des Prototyps
Anschliessend wird ein Prototyp entwickelt, der das bionische Prinzip umsetzt. Dies kann eine neue Technologie, eine Testgruppe oder ein neues Produkt sein, das auf dem bionischen Prinzip basiert.
Schritt 6: Test und Optimierung
Der Prototyp wird getestet und optimiert, um sicherzustellen, dass er die gewünschte Leistung erbringt und die Anforderungen erfüllt. Dabei können auch weitere Anpassungen an den bionischen Prinzipien oder der technischen Umsetzung vorgenommen werden.
Schritt 7: Vermarktung und Anwendung
Nach erfolgreicher Testphase wird das bionische Produkt, die Dienstleistung oder die Technologie auf eingeführt und in verschiedenen Anwendungen eingesetzt.
Haben wir dein Interesse geweckt?
Das klingt im ersten Moment nach einem sehr aufwändigen Prozess. Insbesondere bei komplexeren Produkten und Technologien ist der Aufwand tatsächlich nicht zu unterschätzen. Doch wenn man gewisse Naturstrategien stark verallgemeinert, kann Bionik auch als erfolgversprechende Innovations- und Kreativmethode verstanden und in der Inspirationsphase eines Innovationsprozesses eingesetzt werden.
Ist nach diesen Zeilen vielleicht dein Interesse geweckt, das selbst einmal bei einer eigenen «Innovation Challenge» auszuprobieren? Lass uns das doch einmal besprechen! Du kannst dazu bereits ein wenig Vorarbeit leisten, indem du in einer E-Mail an uns folgende Punkte kurz beschreibst:
Was ist das Thema deiner Innovation Challenge (Produkt, Dienstleistung, Prozess, organisationale Fragestellung etc.?)
Was ist das Ziel deiner Challenge (Verbesserung, Neuentwicklung etc.?)
Was soll als Resultat vorliegen?
Wie umfangreich soll der Prozess etwa sein (Ressourcen, Zeitdauer, bspw. nur ein Tages-Workshop zur Inspiration etc.)
So können wir uns schon ein erstes Bild machen und antworten dir gerne so rasch wie möglich mit einem bereits etwas konkreteren Vorschlag. Wir freuen uns jetzt schon auf deine Kontaktaufnahme!
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