Wie ist Design Thinking im Kontext mit Stadtentwicklung zu verstehen?
Design Thinking wird häufig - und dies irrtümlicherweise - ausschliesslich mit Produkten in Verbindung gebracht, die einem Nutzer:innenbedürfnis entsprechen sollen. Dabei hat die Denkweise bzw. das methodische Vorgehen des Design Thinking so viel mehr Potential. Sogar für die Entwicklung von Städten oder ganz allgemein von Standorten eignet sich die Methodik hervorragend. Das methodische Vorgehen des Design Thinkings bzw. Human Centered Designs (HCD) eignet sich in der Standortentwicklung vielleicht gerade deswegen so gut, weil in diesem Fachbereich so viele verschiedene Nutzer:innen auftreten. Es gibt Bürger:innen, die Bedürfnisse haben. Das Gewerbe hat Ansprüche, die Industrie, die Gastronomie, Besucher:innen, Tourist:innen und viele mehr. Und genau diese Menschen, Unternehmen und Organisationen sollen in den Mittelpunkt der Gestaltung von Standorten gestellt werden, denn Standortentwicklung ist letztlich nicht ein Selbstzwecke, sondern dient dem Ziel, sich einen Standortvorteil zu erarbeiten, weil die Lebensqualität hoch ist oder eine hohe Arbeitsplatzqualität vorliegt.
Wie muss der Design-Prozess im Vergleich zum klassischen Einsatz in der Wirtschaft angepasst werden, damit er im «Public-Umfeld» funktioniert?
Der Design-Prozess im öffentlich-rechtlichen Umfeld erfordert einige Anpassungen im Vergleich zum klassischen Einsatz in der Wirtschaft. Während im kommerziellen Design oft der Fokus auf der Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen liegt, müssen bei der Stadtplanung und Stadtentwicklung die sozialen, kulturellen und ökologischen Aspekte berücksichtigt werden. Es ist wichtig, die Bedürfnisse und Meinungen einer breiten Bevölkerungsgruppe einzubeziehen, um eine inklusive und vielfältige Gestaltung zu gewährleisten.
Der Design-Prozess im «Public-Umfeld» sollte daher folgende Schritte umfassen:
a) Recherche/Datenerhebung: Um ein umfassendes Verständnis der Bedürfnisse und Anliegen der verschiedenen Anspruchsgruppen zu erlangen, ist es wichtig, eine umfangreiche Recherche durchzuführen, um den Fokus der Entwicklungsaufgabe richtig definieren zu können.
b) Partizipation und Zusammenarbeit: Die Einbeziehung der Gemeinschaft ist ein wesentlicher Bestandteil des HCD in der Stadtplanung. Bürger- und Wirtschaftsbeteiligung ermöglichen Menschen, Unternehmens und Organisationen, ihre Ideen und Meinungen einzubringen und den Prozess aktiv mitzugestalten. Diese Phase geht weit über die klassische Partizipation mit Workshops und Open Space-Veranstaltungen hinaus. Hierbei sollten Politiker:innen und Verwaltungsangestellte bewusst in Interviews, Beobachtungsaufgaben oder «Do it yourself»-Aufgaben eingebunden sein.
c) Prototyping und Testphasen: Speziell im öffentlichen Umfeld können die Kosten rasch explodieren, wenn man zu rasch in die Umsetzung geht. Das Erstellen von Prototypen und das Durchführen von Tests ermöglichen es den Beteiligten, frühzeitig Feedback zu geben und potenzielle Probleme oder Verbesserungsmöglichkeiten zu identifizieren. Dieser iterative und kreative Prozess gewährleistet, dass die Gestaltung den Bedürfnissen der Menschen entspricht und doch noch nicht viele finanzielle Ressourcen verbraucht werden.
d) Kontinuierliches Feedback und Anpassung: Der Design-Prozess sollte flexibel genug sein, um kontinuierliches Feedback zu integrieren und auf neue Erkenntnisse zu reagieren. Die Zusammenarbeit mit den Stakeholdern und der Gemeinschaft sollte während des gesamten Prozesses fortgesetzt werden.
Wo liegen Hürden?
Es gibt verschiedene Hürden bei der Anwendung des HCD in der Stadtplanung und Stadtentwicklung. Einige davon sind:
a) Komplexität der Interessen: In städtischen Umgebungen gibt es eine Vielzahl von Interessen und Perspektiven, die berücksichtigt werden müssen. Verschiedene Bevölkerungsgruppen, Unternehmen, Regierungsstellen und zivilgesellschaftliche Organisationen können unterschiedliche Vorstellungen und Ziele haben, was zu Konflikten und Schwierigkeiten bei der Konsensbildung führen kann.
b) Mangelnde Ressourcen: Die Durchführung eines umfassenden HCD-Prozesses erfordert Zeit, Geld und Fachkenntnisse. Oftmals stehen jedoch begrenzte Ressourcen zur Verfügung, insbesondere in öffentlichen Projekten. Dies kann die Umsetzung eines umfassenden HCD-Ansatzes erschweren und zu Kompromissen bei der Bürgerbeteiligung und der Qualität der Gestaltung führen.
c) Bürokratische Hindernisse: Der öffentliche Sektor ist oft durch bürokratische Strukturen und Prozesse geprägt, die die Agilität und Flexibilität des HCD einschränken können. Genehmigungsverfahren, politische Entscheidungsprozesse und langwierige Verwaltungsvorgänge können den HCD-Prozess verlangsamen oder behindern.
d) Widerstand gegen Veränderungen: Veränderungen im städtischen Raum können auf Widerstand stossen, sei es aufgrund von Angst vor Verlust von Privilegien, mangelndem Vertrauen in die Entscheidungsträger oder der Vorliebe für das Gewohnte. Dies kann die Akzeptanz und Umsetzung von HCD-Prinzipien erschweren.
e) Während die nutzerzentrierte Vorgehensweise in der Wirtschaft mehr und mehr Akzeptanz gewinnt, ist das Vorgehen des HCDs im Umfeld von Politik und Verwaltung noch zu wenig bekannt, was behindernd sein kann.
Wer sind die Stakeholder und wie bindet man diese am besten ein?
Die Stakeholder in der Stadtplanung und Stadtentwicklung umfassen eine Vielzahl von Akteuren. Hier sind einige wichtige Stakeholder und Möglichkeiten, sie am besten einzubinden:
a) Bürgerinnen und Bürger: Die Einbeziehung der Gemeinschaft ist von zentraler Bedeutung. Dies kann durch Bürgerbeteiligungsverfahren wie öffentliche Versammlungen, Workshops, Online-Foren und Umfragen erfolgen. Es ist wichtig, sicherzustellen, dass die Beteiligung inklusiv ist und verschiedene Bevölkerungsgruppen repräsentiert.
b) Lokale Unternehmen und Organisationen: Lokale Unternehmen und Organisationen spielen eine wichtige Rolle in der städtischen Entwicklung. Sie sollten in den Gestaltungsprozess einbezogen werden, um sicherzustellen, dass ihre Bedürfnisse und Perspektiven berücksichtigt werden. Dies kann durch Konsultationen, Partnerschaften und die Integration wirtschaftlicher Aspekte in den Gestaltungsprozess geschehen.
c) Regierungsstellen: Regierungsstellen auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene sind wichtige Stakeholder bei der Stadtplanung. Die Einbindung von Regierungsvertretern kann durch Kooperation, gemeinsame Entscheidungsfindung und klare Kommunikation erreicht werden. Es ist entscheidend, dass die Gestaltung mit den bestehenden Gesetzen, Vorschriften und politischen Prioritäten in Einklang steht.
d) Experten und Fachleute: Architekten, Stadtplaner, Ingenieure und andere Experten spielen eine wichtige Rolle bei der Stadtplanung und -entwicklung. Ihre Fachkenntnisse und Erfahrungen können dazu beitragen, den HCD-Prozess zu unterstützen. Sie sollten frühzeitig in den Gestaltungsprozess einbezogen werden, um ihr Fachwissen und ihre Perspektiven einzubringen. Dies kann durch regelmässige Zusammenarbeit, Expertengespräche und Workshops erfolgen.
Die besten Möglichkeiten, Stakeholder einzubinden, variieren je nach Kontext und den spezifischen Bedürfnissen der Gemeinschaft. Eine Kombination aus verschiedenen Methoden wie öffentlichen Versammlungen, Online-Plattformen, Fokusgruppen, direkten Konsultationen und regelmässiger Kommunikation kann dazu beitragen, ein breites Spektrum von Stakeholdern einzubeziehen und sicherzustellen, dass ihre Bedürfnisse und Meinungen berücksichtigt werden.
Was sind die Vorteile gegenüber einem klassischen Entwicklungsprozess?
Der Einsatz des Humanzentrierten Designs (HCD) in der Stadtplanung und Stadtentwicklung bietet eine Reihe von Vorteilen gegenüber einem klassischen Entwicklungsprozess:
a) Besseres Verständnis der Bedürfnisse: Der HCD-Ansatz ermöglicht es, ein tiefgreifendes Verständnis der Bedürfnisse und Anliegen der Menschen zu erlangen, die den städtischen Raum nutzen. Dadurch können Lösungen entwickelt werden, die auf die tatsächlichen Bedürfnisse zugeschnitten sind und zu einer höheren Zufriedenheit und Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner führen.
b) Inklusivität und Vielfalt: Durch die Einbeziehung einer breiten Bevölkerungsgruppe werden verschiedene Perspektiven, Erfahrungen und Meinungen berücksichtigt. Dies führt zu einer inklusiveren Gestaltung, die die Vielfalt der Nutzerinnen und Nutzer widerspiegelt und sozialen Ausschluss minimiert.
c) Frühzeitige Identifizierung von Problemen: Der iterative Charakter des HCD ermöglicht es, frühzeitig potenzielle Probleme oder Herausforderungen zu identifizieren und anzugehen. Durch den Prototyping- und Testprozess können Lösungen iterativ verbessert und an die Bedürfnisse der Menschen angepasst werden.
d) Erhöhte Akzeptanz und Engagement: Indem die Menschen aktiv in den Gestaltungsprozess einbezogen werden, steigt ihre Akzeptanz und ihr Engagement für die entwickelten Lösungen. Dies führt zu einem stärkeren Gemeinschaftsgefühl und einer höheren Wahrscheinlichkeit, dass die entwickelten Konzepte erfolgreich umgesetzt und genutzt werden.
e) Nachhaltigkeit und Effizienz: Durch die Berücksichtigung ökologischer und sozialer Aspekte im Designprozess können nachhaltigere und effizientere städtische Lösungen entwickelt werden. HCD ermöglicht eine ganzheitliche Betrachtung von Umweltauswirkungen, Ressourcenmanagement und sozialer Gerechtigkeit. Die Liste der Vorteile kann nachfolgend als PDF heruntergeladen werden.
Fazit
Das Humanzentrierte Design (HCD) hat das Potenzial, die Stadtplanung und Stadtentwicklung nachhaltig zu verbessern, indem es den Fokus auf die Bedürfnisse und Perspektiven der Menschen legt. Es ermöglicht eine inklusive Gestaltung, die Vielfalt und soziale Gerechtigkeit berücksichtigt. Der HCD-Prozess im «Public-Umfeld» erfordert Anpassungen, um die Komplexität der Interessen, den Mangel an Ressourcen, bürokratische Hindernisse und den Widerstand gegen Veränderungen zu bewältigen.
Die Einbindung verschiedener Stakeholder, wie Bürgerinnen und Bürger, lokale Unternehmen, Regierungsstellen und Experten, ist von entscheidender Bedeutung. Durch ihre aktive Teilnahme und Kooperation kann ein umfassendes Verständnis der Bedürfnisse erlangt und die Qualität der Gestaltung verbessert werden.
Im Vergleich zu einem klassischen Entwicklungsprozess bietet der Einsatz des HCD zahlreiche Vorteile, darunter ein besseres Verständnis der Bedürfnisse, Inklusivität, frühzeitige Identifizierung von Problemen, erhöhte Akzeptanz und Engagement sowie eine nachhaltigere und effizientere Gestaltung.
Letztendlich kann der Einsatz des Humanzentrierten Designs in der Stadtplanung und Stadtentwicklung dazu beitragen, Städte lebenswerter, nachhaltiger und an die Bedürfnisse ihrer Bewohnerinnen und Bewohner angepasst zu gestalten. Indem wir die Menschen in den Mittelpunkt stellen, können wir Städte schaffen, die eine hohe Lebensqualität und ein positives Gemeinschaftsgefühl fördern.
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